Montag, 23. Februar 2015

Kostbarer als Lapislazuli - der Friede in Afghanistan

Geschichte Afghanistans - Ursachen und Wirkungen zur Situation der letzten Jahre
Lapislazuli (c Wikipedia)
1980: "Ein schönes Stück haben Sie sich ausgesucht", sagte der Händler in dem kleinen ostasiatischen Laden mit einer Palette an Angeboten, von kleinen Kostbarkeiten bis zu skurrilen Sonderheiten reichend. Er legte die ärmellose Jacke aus rosa gefüttertem Samt mit zarten floralen Stickereien in Altrosa fachgerecht zusammen, sorgsam, dazwischen eine Lage Seidenpapiers. "Es sind die letzten Jacken und Westen, die ich kriegen konnte," fuhr er fort - ich sah in fragend an. "Afghanistan ist jetzt zu. Der Krieg, der sich dort entwickelt, wird das Land auf lange Zeit nicht zur Ruhe kommen lassen. Wir werden in den nächsten Jahren keine solch schönen Arbeiten von dort mehr beziehen können", ergänzte er achselzuckend. Ich entschloss mich noch zu einer leuchtend blau bestickten kurzen Weste, blau wie der Lapislazuli aus dem westlichen Hindukusch, ein Name, der nicht mehr mit diesem kostbaren Amulettstein in Verbindung gebracht wird, sondern der eher durch Kriegsberichte aus diesem Gebiet der westlichen Welt geläufig ist.
Nicht nur Lapislazuli, mit seinen goldfarbenen Pyriteinsprengungen in tiefem Dunkelblau dem sternenbestreuten Nachthimmel geich, sondern auch Gold und Silber zählten schon in der Antike zu Afghanistans Exporten. Die Damen Unterägyptens, Mesopotamiens, Turkmeniens und Persiens schmückten sich schon in der 2. Hälfte des 3. Jahrtausends vor Christus mit diesen Kostbarkeiten Aryanas, dem antiken Namen Afghanistans - im Mittelalter Khurasan genannt. So blieb dem Land, aufgrund seiner Lage in einem Trockengürtel mit staubigen Wüsten und Steppen, einem geringen Anteil an Wald nur die Möglichkeit, in der sog. Oasenkultur mit der Errichtung eines ausgeklügelten Bewässerungssystems Ackerbau zu betreiben und daneben mit dem Handel seiner Bodenschätze gewinnbringende Einnahmen zu erzielen. Aus diesem System entstanden Orte, die teilweise schon städtischen Charakter hatten. All dies deutet auf ein Matriarchat in dieser Zeit hin, jedoch ging diese Kultur bereits 1700 vor Chr. unter. Durch die günstige Lage an den Haupthandelswegen wie z. B. der Seidenstraße und dadurch den Verbindungen von Zentralasien, China und Indien bis zum vorderen Orient und Mittelmeerraum, entwickelte sich das alte Afghanistan bis zur Neuzeit zu einem Land des Zwischenhandels. Allerdings lag es auch seit alters her immer im Spannungsfeld polarisierender Kräfte und politischer Interessen. Unterschiedliche Strömungen trafen in dem Land aufeinander, von Westen her die arabisch-islamische sowie die persische, vom Südosten her die indische Kultur, die einen häufigen Wechsel in der historischen Entwicklung erzeugten, die uns heute mit der Problematik konfrontiert, Afghanistan eindeutig einem der asiatischen Kulturerdteile zuzuordnen. So bildet es einen vielfach überprägten Kulturraum und man bezeichnet es mit Fug und Recht als Wegekreuz Asiens. Die arabische Islamierung zwischen dem 7. und 10. Jhdt. brachte tiefgreifende Veränderungen mit sich, durch die Sprache, Religion und Schrift - von den Arabern entlehnt wurden. Ein fruchtbare Zeit begann mit der Ghaznavid-Dynastie und der erstmaligen Bildung eines Staatsgebildes in Afghanistan. Doch in der Folge wurde das Land immer wieder erobert, wie z. B. den türkischen Seldschuken, schlussendlich von den Mongolen, die das Land beherrschten, ausbeuteten und verwüsteten, indem sie auch die Bewässerungssysteme zerstörten und eine dauerhafte Wüste hinterließen. Die Timuriden brachten dem Reich mit der Hauptstadt Sarmakand einen kulturellen Aufschwung bis ins. 16. Jhdt., es folgte eine zweihundertjährige Zugehörigkeit Ost-Afghanistans zu Indien unter den Großmoguln. Der Westen mit Herat wurde beherrscht durch persisch-schiitische Safawiden, der Norden war in usbekische Fürstentümer aufgeteilt, den Rest teilten sich Paschtunen und Belutschen. Die Zerissenheit des Landes, die ständige Fremdbestimmung und die Ausbeutung in der Feudalherrschaft führten zu Aufständen, die in der Mitte des 18. Jhdts. die Entstehung eines afghanischen Staates vorbereiteten. Es war ein selbständiges Königreich, geschaffen durch seinen Gründer Ahmad Schah Durrani, der sich 1747 in der damaligen Hauptstadt Kandahar zum König ausrufen ließ. Dieses Reich erstreckte sich von Zentralasien nach Delhi, von Kaschmir zum Arabischen Meer, zerfiel aber nach dem Tod des Eroberers 1772/1773. Die von ihm geschaffene Staats- und Militärorganisation blieb aber ein bedeutsamer Entwicklungsfaktor Afghanistans. Das folgende 19. Jahrhundert war ebenfalls kein friedvolles. Stammesstreitigkeiten führten zu Teilungen des Landes und bedeutenden kriegerischen Einmischungen von außen. Das "Great Game" der kolonialisierenden Mächte Russland (mit dem Ziel über Turkestan nach Indien, um in den Besitz eines eisfreien Hafens zu gelangen) und Großbritannien (dessen Ziel, das Land dem britischen Dominian Indien einzuverleiben). Dieser Konflikt führte zum Eingreifen der Briten in einen Thronfolgerkrieg in Afghanistan und zu mehreren anglo-afghanischen Kriegen, der erste von 1838-1842, der mit dem Scheitern der Briten, Afghanistan zu besetzen und Indien einzuverleiben, endete. Auch der zweite Krieg 1878-1881 änderte an dem Status Quo nichts. Mit Hilfe der Briten gelangte schließlich Abdul Rahman Khan, ein Enkel des Dost Mohammed, paschtunischen Geblüts auf den Thron, der als aufgeklärter Herrscher galt und danach trachtete, sein Land in die Moderne zu führen. Unter seiner Herrschaft legten Russen und Briten die Grenzen des heutigen Afghanistans fest, und zwar zunächst 1893 mit der Schaffung einer Demarkationslinie - der sog. Durand-Linie - zwischen Afghanistan und Britisch-Indien, mit der Festlegung der Verantwortung über die einzelnen Gebiete. Seine bis heute gültige Nordgrenze erhielt Afghanistan 1898 mit dem Südteil des Khanates Buchara. Der 3. britisch-afghanische Krieg, aus dem König Amanullah als Sieger hervorging, endete mit dem Frieden von Rawalpindi 1919.
König Amanullah brachte dem Land die Souveränität und 1921 im Vertrag von Kabul die volle Anerkennung seiner Unabhängigkeit durch Russland und Großbritannien. Die Regierungsform Afghanistans wandelte sich 1925 in eine konstitutionelle Monarchie. Der König strebte grundlegende Reformen an, um das Land wirtschaftlich und sozial neu zu organisieren. Bildungsprogramme für Frauen, Abschaffung der Polygamie und Einschränkung der Geistlichkeit sollten die ersten Wege des Fortschritts bilden. Zu einem politischen Großereignis geriet 1927 sein Besuch in Deutschland, der von der Weimarer Republik, neben dem Besuch des ägyptischen Königs Faruk, dahingehend gewertet wurde, dass die Isolation Deutschlands nach dem verlorenen Krieg 1918 zu Ende ging, der erste Baustein für die viel zitierte deutsch-afghanische Freundschaft. Aufgrund der miserablen wirtschaftlichen Situation Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg schlossen zahlreiche deutsche Fachleute und Firmen Verträge mit den Abgesandten Afghanistans ab. Nicht nur afghanische Studenten absolvierten ihr Studium in Deutschland, auch eine deutschsprachige Schule in Kabul trug zur Förderung der bilateralen Beziehungen bei, so dass Deutschland schließlich zum drittwichtigsten Handelspartner - nach Russland und Großbritannien - wurde. Diese glückliche Zeit Afghanistans endete 1929 mit dem Sturz König Amanullahs durch erzkonservative Kräfte mit Hilfe der Briten. General Mohamed Nadir kehrte aus Pariser Exil zurück nach Afghanistan, wurde zum König erhoben und unter seiner Regentschaft alle Reformbestrebungen Amanullahs wieder rückgängig gemacht mit Stärkung der Machtposition der islamischen Geistlichkeit. 

Dass diese britische Politik und Entscheidung keine glückliche war, zeigt sich darin, dass auch im 20. Jahrhundert das Land keine Ruhe fand. Nach der Ermordung des Schah Mohammed Nadir 1933, folgte ihm dessen 19-jähriger Bruder (und 3 weiteren Brüdern in der Regierung) als Regent für den erst 3-jährigen Thronfolger Sahir Schah. Unter dessen Führung kam es 1965 zu den ersten freien Wahlen in Afghanistan und der erstmaligen Übertragung eines Ministeriums (für Gesundheit) an eine Frau, die Abgeordnete K. Noorzai. Doch die Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Stämmen sowie Nahrungsmittelkrisen führten immer wieder zu militanten intranationalen Auseinandersetzungen und schließlich, infolge eines Staatsstreiches, zur Absetzung des zu einem Kuraufenthalt in Italien weilenden Königs. Der Usurpator, ein Schwager des Schah Sahir, der ehemalige Ministerpräsident Sardar Mohammed Daoud Khan, riss alle Ämter an sich, so dass er in Personalunion Staatpräsident, Regierungschef, Verteidigungs- und Außenminister wurde, den König 1973 zur Abdankung zwang. Daoud Khan glaubte außenpolitisch, den Status eines Pufferstaates zwischen der Sowjetunion und dem Westen beibehalten zu können, wurde aber durch seine Regierungsform, die sich zu einer brutalen Diktatur ausgeartet hatte, durch linke oppositionelle Parteien, aber auch durch islamische Gruppierungen aus der Illegalität und dem Exil in Pakistan heraus bekämpft. Der Diktator endete in der Saur-Revolution 1978, indem er nach einer blutigen Belagerung seines Palastes durch das Militär hingerichtet wurde. Die neuen Machthaber nannten den Staat "Demokratische Republik Afghanistan" und versuchten vermittels Bodenreform das Land neu zu strukturieren und es zu einem modernen sozialistischen Staat zu entwickeln, dieses Unterfangen brachte sie in Abhängigkeit zur Sowjetunion, während sich die enteigneten Großgrundbesitzer mit Hilfe des lokalen islamischen Klerus, weiterhin chinesischer Hilfe und schließlich amerikanischer Soldaten wieder in die alten Besitzverhältnisse zu setzen suchten. Die Regierung geriet aber gegen die konservativ-islamischen Kräfte immer mehr in die Defensive, so dass die Sowjetunion 1979 Truppen entsandte. Nun wurde Afghanistan das Opfer eines "Stellvertreterkrieges", es gelang jedoch der Sowjetunion, ebenso wie ein Jahrhundert zuvor den Briten, nicht, die Guerillataktik der Widerstandskämpfer zu brechen und verließ 1989 das Land. Trotz des kompletten Rückzugs der UDSSR gingen die Kämpfe zwischen der Regierung und den Mudschaheddin weiter. Die Regierung Nadschibullahs konnte mit der sowjetischen Unterstützung überleben, sich aber ab 1991 mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr halten. Kabul wurde 1992 von den Truppen Massouds und Dostums erobert.
Aber sofort entbrannte ein Bürgerkrieg zwischen den einzelnen Gruppierungen der Mudschaheddin, der das Land in einem Chaos versinken ließ und es schließlich den zum großen Teil aus Saudi-Arabien und Pakistan rekrutierten Taliban in die Hände spielte.
In der Auswertung der Vorgeschichte des auch heute immer noch friedlosen Landes Afghanistan, kann man im Resumeé nur zu dem Schluss kommen, dass jede fremde Einmischung in die nationalen Verhältnisse, das Land in ein noch immer größeres Chaos gestürzt haben. Das stolze afghanische Volk erträgt auf Dauer keine Einmischung fremder Kulturen. Niemand kann den Kampf gegen die Taliban gewinnen, als das afghanische Volk selbst, wenn es sein Wille ist. Die Ausbildung und Unterstützung in der Kriegsmaschinerie bringen auf Dauer nur Verluste, aber keine Lösung, wenn nicht gleichzeitig in einer zehnfachen Anstrengung technische und finanzielle Investitionen für ein ökonomisch sinnvolles Bewässerungssystem in den kriegsfreien Gebieten investiert werden, um dem traditionell agrar-orientierten Land, neue Möglichkeiten des Ackerbaues aufzuzeigen, die neue Hoffnungen auf einen durch eigene Kraft erreichten Aufschwung des Landes geben können mit der Zielrichtung eines erstrebenswerten Friedens. Schulung der männlichen wie der weiblichen Bevölkerung in der eigenen Geschichte, Ethik und den Menschenrechten mit Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls der afghanischen Nation, um den einzelnen Stämmen zu zeigen, dass alte Machtstrukturen nur in Verfall und Verelendung des Landes führen. Es ist möglich, dass dieses Ziel den Präsidenten Karzai vor einiger Zeit dazu veranlasste, während einer Zusammenkunft der Stammeshäuptlinge - für die westliche Welt unverständlich -  einen verzweifelten Versuch startete, die Stämme auf Zusammenhalt und unverbrüchliche Gemeinschaft einzuschwören. Solange das Machtstreben einzelner nicht den Interessen und der Gemeinschaft des gesamten Volkes untergeordnet werden kann, wird das Wegekreuz Asiens immer gleichzeitig das Wegekreuz ausländischer Begierden und Interessen, gleich welchen Couleurs, sein und die Fackel des Krieges immer weiter gereicht werden.  
 Die Samtwesten aus Afghanistan konnten mit fortschreitendem Alter und veränderter Mode nicht mehr getragen werden, vielleicht haben sie über das Rote Kreuz wieder den Weg in ihr Ursprungsland gefunden.
Doch ein Ring aus Silber und Lapislazuli erinnert an das Kostbarste für Afghanistan: Dauerhaften Frieden; denn es ist zweifelhaft, ob das hehre Ziel unter dem 2014 gewählten Präsidenten Ashraf Ghani Ahmadzai erreicht werden kann.

Elke Gelzleichter 2015




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